Fluchtgeschichten

Auf dem Bild signiere ich meinen Roman „Die Verknöpften“ – nach einer Schullesung aus „Flaschenpost in Sütterlin“ Anfang des Monats. Die Hälfte der Fünftklässlerinnen und Fünftklässler des Essener Gymnaiums, die bei der Lesung waren, hat „Die Verknöpften“ gerade als Schullektüre gelesen.

Die beiden Bücher eint: Beide Kinderromane spielen (zumindest zum Teil) in der Zeit des Nationalsozialismus‘, in beiden Geschichten müssen Kinder fliehen. Doch bei den Verknöpften sind es jüdische Kinder: Minna, die mit ihren Eltern versucht, nach Amerika zu fliehen. Und Leon kommt auf den ersten Kindertransport, der Kinder von Bochum nach England in Sicherheit bringt. Sie gehören zu jenen Menschen, die grundlos diskriminiert, verfolgt, vertrieben wurden. Die ihre Heimat verließen, um dem Naziterror zu entkommen. Um zu überleben.

In der „Flaschenpost“ fliehen zwei Mädchen aus Ostpreußen. Weil die Rote Armee einmarschiert – als Folge des brutalen Kriegs, den die Deutschen unter Hitler begonnen haben. Aufgrund des Angriffs der deutschen Soldaten auf Russland. Auch der Vater von Irmgard in dem Buch war Soldat. Der Gegenschlag der russischen Armee trifft die deutsche Zivilbevölkerung (u.a. in Ostpreußen), die zum Teil flieht, zum Teil vertrieben wird. Opfer sind insbesondere Kinder, Frauen sowie alte und kranke Menschen. Ein Gedanke, der in meinem Kopf kreist: Ein Teil meiner Familie ist aus Schlesien geflohen. Die Menschen seinerzeit haben nichts gemacht, um den Nationalsozialismus zu stoppen. Ebenso wie die Mehrheit der Deutschen nichts getan hat – auch in Ostpreußen und Schlesien nicht. Tragen diese Menschen also Schuld an ihrem Schicksal? Sie waren erwachsen.

Anders die Kinder in meinem Buch, sie waren 10 Jahre alt, als sie geflohen sind. Ebenso alt wie Minna und Leon in „Die Verknöpften“. Kinder werden von Kriegen immer unschuldig getroffen. Derzeit sind knapp 37 Millionen Kinder weltweit auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg.

Fotos: AKS / Andrea Behnke